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Nach seinem Sieg am Granicus erreichte Alexander die Stadt Gordion in Kleinasien. Er besichtigte dort den bekannten Wagen, dessen Teile mit Seilen aus Bast zusammengebunden waren, und deren Knoten noch niemand auflösen konnte.
Es ging die Sage, dass nämlich derjenige, der die Seile löse, dazu bestimmt sei, über ganz Asien zu herrschen. Als Alexander die Anfänge des Knotens nicht finden konnte, nahm er sein Schwert und durchtrennte ihn mit einem einzigen Hieb.
- Plutarch: Alexander -
Pluralität darf niemals ohne Notwendigkeit postuliert werden.
- Wilhelm von Ockham -
Die Anzahl der Erkrankungen des Zentralnervensystems steigt seit Jahren weltweit massiv an. Bis heute gilt der überwiegende Teil von ihnen als nicht oder nur unzureichend behandelbar, und ihre Ursachen werden nicht ansatzweise verstanden.
Dabei hat die Zellforschung in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht und unser Wissen stark erweitert, insbesondere im Bereich der Genetik. Genregulatorische Prozesse, die vor 20 Jahren noch völlig unbekannt waren, wurden entdeckt. Die Umsetzung dieses theoretischen Wissens in breitenmedizinische Therapien kommt dennoch nicht voran, obwohl die mit dem aktuellen Wissen korrespondierenden effektiven Behandlungsmethoden schon lange zur Verfügung stehen.
Und genau darum geht es in der vorliegenden Web-Publikation:
Die Seiten enthalten umfassende Analysen neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen. Das komplexe Geschehen im Gehirn ‑ insbesondere auf Zellebene ‑ und viele verschiedene Interaktionen des Gehirns mit der Umwelt werden integrativ analysiert und bewertet. Das Ergebnis ist eine radikale Veränderung des Verständnisses der Ursachen von Nervenerkrankungen und ihrer Therapien. Interessierte und persönlich Betroffene sind eingeladen, den nachfolgenden Ausführungen zu folgen.
Die umfangreichen Inhalte sind in zehn aufeinander aufbauende Kapitel gegliedert, wobei auf die Verständlichkeit der Darstellungen geachtet wurde. Vorkenntnisse sind nützlich, aber nicht notwendig. Bei komplexen Sachverhalten erleichtern Schaubilder, Graphiken, Videos und Animationen den Überblick. Schriftarten und Formate ermöglichen eine gute Lesbarkeit sowohl am Bildschirm - am besten mit Zoomfaktor 150% - als auch auf einem Ausdruck.
Um aussagekräftige Modelle zu entwickeln, wurden komplexe Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Akteuren analysiert. Für das allgemeine Verständnis sind diese Details nicht entscheidend. Seiten und Texte sind so strukturiert, dass Querlesen bzw. partielles Lesen möglich ist.
Diese Einführungsseite enthält zunächst eine komprimierte Übersicht sämtlicher Inhalte (→ Intention und erster Überblick), danach Zusammenfassungen der Kapitel 1 bis 10, die einen leichteren Einstieg ermöglichen sollen. Sprungmarken zu Beginn jeder Kapitelzusammenfassung erleichtern den Zugriff auf die ausführlichen Texte.
Zusätzliche Informationen zum Herunterladen sowie Hinweise zu weiteren Textquellen und Literaturempfehlungen bietet die Seite Links & Downloads. Das Glossar enthält Erläuterungen zu Fachbegriffen.
Die Inhalte werden kontinuierlich erarbeitet, bearbeitet und bei Bedarf ergänzt, derzeit ist der erste Teil (Kausale Theorien) fast vollständig, die Teile II und III kommen nach und nach dazu:
Einführung, Kapitelübersichten - fertiggestellt, wird kontinuierlich angepasst
Kausaltheorie - fertiggestellt, wird kontinuierlich aktualisiert
Zellprozessmodell - fertiggestellt, wird kontinuierlich aktualisiert
Identifizierung und Bewertung der Zellschwachstellen - fertiggestellt, wird kontinuierlich aktualisiert
Multikausale Theorie, Teil A (Zellschwachstellen) - fertiggestellt, wird kontinuierlich aktualisiert
Multikausale Theorie, Teil B (Sonstige exogene Noxen) - in Bearbeitung
II. Kausale Therapien - in Konzeption
III. Allgemeine Theorie - in Konzeption
Links & Downloads - wird kontinuierlich ergänzt
Glossar - im Aufbau, wird kontinuierlich ergänzt
Blog - geplant
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Die Anzahl der Menschen mit neurologischen bzw. psychiatrischen Erkrankungen steigt weltweit seit Jahrzehnten stetig. Das ist zum einen Folge medizinischer Fortschritte in der Behandlung infektiöser, innerer und maligner Erkrankungen. Erfreulicherweise hat sich der Altersdurchschnitt der Bevölkerung dadurch erhöht, jedoch fehlen immer noch wirksame breitenmedizinische Behandlungsmöglichkeiten gegen neurodegenerative Erkrankungen bei einer immer älter werdenden Bevölkerung. So gibt es fast kaum Fortschritte im Kampf gegen demenzielle Erkrankungen, Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose. Und gerade wegen fehlender effektiver Therapien gibt es immer mehr Patienten mit solchen Erkrankungen.
Bei einer Depression, Manie und Bipolaren Erkrankung, die auch als Affektive Störungen bezeichnet werden, sieht es nicht besser aus. Deren Ursachen scheinen seit jeher unklar, ebenso die Gründe für ihr immer häufigeres Auftreten. Es fehlen Modelle, die Affekterkrankungen umfassend beschreiben und erklären. Stattdessen werden voneinander unabhängige Ursachen angenommen und zusammenfassend als multifaktorielle Ätiopathogenese bezeichnet, ohne sie in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Antidepressiva wirken bei einem großen Teil der Erkrankten nur unzulänglich, Studien zeigen, dass einzelne Präparate keine Wirkungen entfalten, die über den Placeboeffekt hinausgehen.
In Psychiatrie, Psychosomatik, Neurologie, Neuropathologie, Endokrinologie, Pharmazie, Genetik und Psychologie konkurrieren unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Ansichten über die Ursachen affektiver Erkrankungen, so dass sich kein fachübergreifend schlüssiges Krankheitsverständnis entwickeln kann.
Seit dem Jahre 1963 wird kognitionspsychologisch mit dem 9‑Punkte‑Test untersucht, ob Probanden eine Lösung für auf den ersten Blick Unlösbares zu finden in der Lage sind.
Dabei werden den Teilnehmern neun quadratisch angeordnete Punkte vorgelegt, die innerhalb einer vorgegebenen Zeit mit maximal vier geraden Linien verbunden werden sollen, ohne den Stift abzusetzen und ohne eine Linie doppelt zu zeichnen (→ Abbildung A).
ABBILDUNG A: DER 9-PUNKTE-TEST
Abbildung A: Neun Punkte sollen geradlinig mit vier oder weniger Linien verbunden werden, ohne den Stift abzusetzen. Ebenfalls darf keine Linie doppelt gezeichnet werden.
Die meisten Teilnehmer geben nach etlichen Versuchen auf. Kaum jemand bewältigt diese Aufgabe, und nur sehr wenige erzielen eine Lösung.
Weiter unten werden ein Lösungsweg präsentiert und Erklärungen gegeben, warum viele Versuchspersonen die gestellte Aufgabe nicht bewältigen, und was dieses Experiment mit den Themen zu tun hat, um die es auf diesen Webseiten geht.
Die hier diskutierten kausalen Theorien schaffen die Verbindung zwischen einem allgemeinen Ursachenmodell und einem multifaktoriellen Erklärungsansatz zentralnervöser Erkrankungen. Zunächst stehen Depressionserkrankungen im Mittelpunkt der Betrachtungen.
Ein Modell degenerativer hirnorganischer Veränderungsprozesse (3‑Stufen‑Modell) ist das Ergebnis einer Analyse zu Beginn des ersten Teils der Ausführungen. Modellbestandteile sind ein System vernetzter Nervenzellen, Gliazellen und funktionell abgegrenzter Hirnareale. Zellveränderungen führen in affektrelevanten Hirnarealen zu Reizverarbeitungsstörungen, aus denen Affekterkrankungen resultieren.
Im nächsten Schritt werden potentielle sekundäre Ursachen degenerativer Prozesse identifiziert. Probleme mit fehlenden oder fehlerhaften zellwichtigen Substanzen, die vor allem die Proteinbiosynthese behindern, und zahlreiche schädigende Einflüsse von außen kommen als ein Mix unterschiedlicher Sekundärursachen in Frage.
Danach stehen in Teil II kausale Therapiestrategien gegen Affekterkrankungen zur Diskussion, die sich an den zuvor aufgestellten Ursachenhypothesen orientieren.
Im dritten und letzten Teil wird geprüft, ob sich die Modelle auch auf andere Nervenerkrankungen übertragen lassen, zum Beispiel auf verschiedene Demenzformen, Morbus Parkinson, Schizophrenie oder Epilepsie.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Zelltheorie. Der Berliner Arzt Rudolf Virchow (1821 ‑ 1902) veröffentlichte 1858 seine Zellpathologielehre. Damals fing man an zu verstehen, dass die Leistungen eines Organs und des gesamten Körpers auf den Leistungen der Zellen und deren Zusammenarbeit beruhen. Rudolf Virchow zog daraus den Schluss, Krankheiten als unmittelbare Folgen von Zellstörungen zu betrachten.
Diese grundlegenden Zusammenhänge werden vor allem in der Psychiatrie auch noch heutzutage nur unzureichend gewürdigt. Denn trotz der Arbeit von Ärzten wie Jean‑Martin Charcot (1825 ‑ 1893), der schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Neurologe am Pariser Hôpital de la Salpêtrière nach hirnorganischen oder anderen physischen Ursachen psychiatrischer Erkrankungen suchte und von der Möglichkeit physiologischer Veränderungen bzw. Läsionen im Gehirn überzeugt war, wurden vor allem psychoanalytische, später tiefen- und verhaltenspsychologische (Erlernte Hilflosigkeit, Verstärker-Verlust-Theorie nach Lewinsohn, Kognitive Theorie von A. T. Beck etc.) oder sozialwissenschaftliche Modelle entwickelt, die potentielle Ursachen affektiver und anderer psychiatrischer Erkrankungen postulierten, ohne einen Bezug zu organischen Aspekten des Gehirns herzustellen.
Bis heute gibt es den Gegensatz zwischen Psychikern und Somatikern. Während Psychiker psychiatrische Erkrankungen auf seelische, nicht-körperliche Ursachen zurückführen, gehen Somatiker von Erkrankungen oder Veränderungen aus, die das Zentralnervensystem oder periphere Organe betreffen.
An dieser Entwicklung ist der bis heute einflussreiche österreichische Psychiater Sigmund Freud (1856 ‑ 1939) nicht unschuldig, da er sich im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere immer weiter von dem Gedanken einer neurologischen Basis psychiatrischer Erkrankungen entfernte. Am Beginn seiner Laufbahn wurde Freud sowohl vom Somatiker Jean‑Martin Charcot als auch von dem aus Sachsen stammenden Psychiater und Neuropathologen Theodor Meynert (1833 ‑ 1892) beeinflusst. Meynert war ein weiterer Vertreter der Somatiker, die Verbindungen zwischen dem Gehirn als Organ und psychiatrischen Erkrankungen annahmen. Der Titel seines bekanntesten Werks aus dem Jahr 1884 weist den Weg: „Psychiatrie. Klinik der Erkrankungen des Vorderhirns“.
Im Jahre 1883 - also nur ein Jahr vor Erscheinen von Meynerts Buchs ‑ behauptete Freud im Gegensatz dazu, dass es keine organischen Erklärungen der Hysterie gebe, „dass die Schädigungen der hysterischen Lähmungen vollkommen unabhängig von der Anatomie des Nervensystems sein müssen, da sich die Hysterie in ihren Lähmungen und anderen Manifestationen verhält, als gäbe es die Anatomie nicht und als hätte sie keinerlei Kenntnis von ihr.“ (Quellen: Sigmund Freud, Gesammelte Werke, London 1952; Oliver Sacks, Der Strom des Bewusstseins, Rowohlt Verlag, Reinbek 2017). Nach Freud handelt es sich bei psychiatrischen Erkrankungen um nicht organisch bedingte Störungen von „Seele und Geist“. Freud hielt zeitlebens an dieser Hypothese fest.
Auch deshalb werden bis heute bei der Diagnose und Behandlung von Affektstörungen organisch-physiologische Aspekte oftmals als nebensächlich erachtet oder vollständig ignoriert.
Vermutungen über eine neurologische Grundlage psychiatrischer Erkrankungen gab es sogar schon lange bevor Theodor Meynert sein Hauptwerk 1884 veröffentlichte. Wilhelm Griesinger (1817 ‑ 1868), ein renommierter Psychiater aus Württemberg, schrieb im Jahre 1845 ‑ also sogar noch vor den Arbeiten Rudolf Virchows zur Zellphysiologie ‑ im damaligen Standardwerk für Psychiatrie: „Die vorliegende Schrift beschäftigt sich mit der Lehre von der Erkenntnis und Heilung der psychischen Krankheiten (...); die Aufstellung der ganzen Gruppe der psychischen Krankheiten ist aus einer symptomatologischen Betrachtungsweise hervorgegangen und ihr Bestehen ist nur von einer solchen aus zu rechtfertigen. Der erste Schritt zum Verständnis der Symptome ist ihre Localisation. Welchem Organ gehört das Phänomen (...) an? - Welches Organ muss also überall und immer notwendig erkrankt sein (...)? - Die Antwort auf diese Frage ist die erste Voraussetzung der ganzen Psychiatrie. Zeigen uns physiologische und pathologische Tatsachen, dass dieses Organ nur das Gehirn sein kann, so haben wir vor allem in den psychischen Krankheiten jedesmal Erkrankungen des Gehirns zu erkennen.“ (Quelle: Wilhelm Griesinger, Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, Verlag Krabbe, Stuttgart 1845).
Im Rückblick sind die Standpunkte der Psychiker nachvollziehbar, denn das Gehirn war im 19. Jahrhundert noch wenig erforschtes wissenschaftliches Neuland. Im 21. Jahrhundert wirken solche Ansichten aber vor allem rückständig, auch wenn es immer noch große Lücken im Verständnis der Arbeitsweise des Nervensystems gibt.
Es werden immer noch abenteuerliche Hypothesen über die Ursachen psychiatrischer Erkrankungen konstruiert. So schildert der niederländische Hirnforscher Dick Swaab Missverständnisse bei Autismus-Diagnosen, die in den 1960er Jahren Leo Kanner unterliefen. Kanner, ein Kinder- und Jugendpsychiater aus Baltimore/USA, beschrieb 1946 als Erster ein Krankheitsbild, das heute Frühkindlicher Autismus genannt wird. Dazu Dick Swaab: „Autismus wird erst seit ziemlich kurzer Zeit als eine Entwicklungsstörung des Gehirns gesehen, die sich bereits in der Gebärmutter ausbildet. Vor dreißig Jahren habe ich noch erlebt, dass nach umfangreichen Untersuchungen durch Psychiater und Psychologen die Eltern eines Kindes, das von Anfang an «anders» war, nicht nur die Diagnose Autismus verkraften mussten, sondern auch die Aussagen, dass ihre Erziehung dieses Problem verschuldet habe. Verantwortlich hierfür war Kanner, der behauptet hatte, Autismus sei eine Reaktion auf fehlende Mutterliebe. Selbst 1960 vertrat er noch die Ansicht, dass die «Kühlschrankmutter» (refrigerator mother) autistischer Kinder nur ganz kurz aufgetaut sei, um das Kind zu zeugen. Wie viele Eltern wurden durch diese absurde Vorstellung wohl völlig zu Unrecht bestraft?“ (Quelle: Dick Swaab, Wir sind unser Gehirn, Droemer Verlag, München 2011). Aber noch heute gibt es Psychiater, Psychologen und Heilpraktiker, die Autismus als erworbenene Erkrankung sehen und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren.
Dabei liegt es spätestens seit Rudolf Virchow nahe, dass das Gehirn gleiche oder ähnliche physiologische Erkrankungspotentiale in sich birgt wie jedes andere Organ. Theorien oder Modelle, die solche Aspekte unzureichend berücksichtigen, sind mit Recht als substanzlos zu bezeichnen und halten auch keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand.
Sogar Morbus Parkinson, an dessen hirnorganischen Ursachen heute keine Zweifel bestehen, wurde bis in die 1950er Jahre als psychogen-neurotische, das heißt nicht organisch bedingte psychiatrische Störung aufgefasst, obwohl der russische Neuropathologe Konstantin Tretjakov schon im Jahre 1919 entdeckte, dass Degenerationen bestimmter Hirnareale in einem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen. Psychiater waren dennoch überzeugt, Parkinsonkranke seien charakterlich gefühlsarm und die Schüttellähmung sowie das maskenhafte Gesicht Ausdruck unterdrückter Emotionen. US‑amerikanische Nervenärzte vertraten die Theorie, Morbus Parkinson beruhe auf Zwangsstörungen und unterdrückter Aggressivität.
Man versetze sich in die Situation hilfesuchender Parkinsonpatienten, die mit derart vulgärpsychologischen Deutungsversuchen konfrontiert wurden. In der Regel spüren Betroffene, dass solche hilflosen und abstrusen Erklärungsversuche jeder Grundlage entbehren.
Seit den 1960er Jahren bestätigten Forschungen die Ursachen der Parkinsonerkrankung, die auf Dopaminmangel und degenerativen Veränderungen autonomer Hirnstrukturen beruhen, die Tretjakov fast fünfzig Jahre zuvor beschrieb. Und trotz all dieser Erkenntnisse: Es gibt bis heute keine befriedigenden Therapiestandards gegen Morbus Parkinson, obwohl die Entdeckung der Ursachen durch Tretjakov nun schon weit zurückliegt.
Erst Ende der 1950er Jahre kamen Medikamente auf den Markt, die zellphysiologische Prozesse im Gehirn beeinflussen und seitdem zur Behandlung affektiver Erkrankungen eingesetzt werden. Forscher entdeckten diese Substanzen jedoch zufällig, da sie zunächst zur Behandlung völlig anderer oder anderer psychiatrischer Erkrankungen vorgesehen waren. Beispiele sind das Tuberkulosemedikament Iproniazid und das zunächst gegen Schizophrenie entwickelte Imipramin. Später wurden beide zur Therapie der Depression verwendet.
Bis heute setzen sich Pharmazeuten nur unzureichend mit organischen Ursachen Affektiver Störungen auseinander. Sie favorisieren kritikwürdige Behandlungsstrategien der Manipulation bestimmter Neurosubstanzen, deren tatsächliche Verbindungen mit der Krankheitsentstehung völlig unklar sind.
Allein aufgrund der Annahme, monoamine Reizüberträgersubstanzen ‑ wie beispielsweise Serotonin ‑ ständen mit einer Depression in einem ursächlichen Zusammenhang, wird seit Anfang der 1970er Jahre die These vertreten, eine Erhöhung der Monoaminkonzentrationen im Gehirn müsse positive klinische Effekte haben. Im Jahre 1988 kam in den USA das erste Medikament mit der Handelsbezeichnung Prozac auf den Markt, dessen Wirkungsweise mit dieser bis heute unbewiesenen Monoaminmangelhypothese begründet wurde.
Schwachpunkte der Monoaminmangelhypothese sind sowohl fehlende Nachweise kausaler oder korrelativer Zusammenhänge als auch fehlende plausible Annahmen über Ursachen-Wirkungs-Ketten. Die ungenügende Auseinandersetzung mit diesen wissenschaftlichen Defiziten und wenig innovative Forschungen führten dazu, dass Medizin und Pharmazie immer noch keine wesentlichen Fortschritte vorzuweisen haben - weder beim Verständnis der Ursachen der Erkrankung noch bei der Behandlung. Die in den 1950er bis 80er Jahren entwickelten Medikamente sind bis heute fast unverändert die Grundlage der breitenmedizinischen Behandlung, obwohl die Kritik an ihnen aus mehreren Richtungen seit Jahren massiv zunimmt. Studien und Anwendungserfahrungen zeigen, dass die Substanzen nur bei etwa einem Drittel der Patienten zu einer nennenswerten Verbesserung führen, für ein weiteres Drittel bringen sie maximal leichte Vorteile. In beiden Fällen kann ein direkter Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werden. Auf die Symptome des restlichen Drittels haben die Präparate überhaupt keine Wirkung. Die Patienten der letzten Gruppe gehören meist zu denen mit der Diagnose „Therapieresistente Depression“. Darüber hinaus haben Antidepressiva häufig unangenehme Nebenwirkungen, die Folgen der Manipulationen der Reizübertragung sind.
Da Behandlungen mit diesen Präparaten in der Psychiatrie etabliert sind und die Kosten aufgrund der Leistungskataloge der Krankenkassen und Krankenversicherer übernommen werden, besteht auch von Seiten der Hersteller wenig Motivation, daran etwas zu ändern. Sie haben mangels Erfolgs die Forschung nach wirkungsvolleren Medikamenten so gut wie eingestellt. Stattdessen werden schon erfolgreich vermarktete Präparate pharmakologisch leicht modifiziert und die daraus entstandenen „neuen Präparate“ mit einem Patent versehen, um sie dann möglichst lukrativ auf dem Gesundheitsmarkt etablieren zu können.
Gerhard Gründer, früher Professor für Experimentelle Neuropsychiatrie an der RWTH Aachen und Stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen und seit 2018 Leiter des Zentrums für Innovative Psychiatrie- und Psychotherapieforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, gehört zu den Fachleuten, die diesen Zustand kritisieren: „Große Unternehmen haben sich komplett aus dem Bereich zurückgezogen, haben ihre Forschung eingestellt, weil es nicht mehr lukrativ ist. Die Pharmaindustrie ist an Gewinn interessiert, ist ihren Aktionären verpflichtet, und wenn daraus, aus der Forschung nichts herauskommt, dann stellt man das ein. Und das ist in den letzten zehn Jahren geschehen. Es gibt noch eine umfangreichere Forschung bei den neurodegenerativen Erkrankungen, Stichwort Alzheimerdemenz, aber wenn es so um die großen klassischen Krankheiten wie Schizophrenie oder Depression geht, da findet nur noch sehr wenig statt und da muss man ganz klar von einer Krise der Psychopharmakologie sprechen.“ (Quelle: Martin Huber, Die Krise der Psychopharmaka, Feature des Deutschlandfunks vom 2.4.2017, Deutschlandradio, Köln, http://www.deutschlandfunk.de/...).
Erst seit relativ kurzer Zeit entwickeln Wissenschaftler neue Ansätze, die Ursachen affektiver Erkrankungen zu entschlüsseln. So gibt es Versuche, Wechselwirkungen zwischen der körperlichen und nicht körperlichen Ebene zu erklären, beispielsweise mit Hilfe verschiedener Stressmodelle, oder die Rolle oxidativer Zellprozesse bei der Entstehung von Affektstörungen zu verstehen. Vor allem moderne computergestützte Diagnosetechniken und erste zaghafte Änderungen des Krankheitsverständnisses ermöglichen diese Fortschritte.
Leider finden solche oder vergleichbare Aktivitäten überwiegend im Forschungsbereich statt. Es besteht die Gefahr, dass Erkenntnisse dort versickern und kaum Auswirkungen auf die Behandlungsweisen in den Heilpraxen und Krankenhäusern haben.
Neben den Ursachen affektiver Erkrankungen sind bis heute auch deren Charaktereigenschaften grundlegend unverstanden. Auf einem Vortrag über psychiatrische Störungen im Zusammenhang mit chronischen Infektionskrankheiten referierte ein Psychiater über den Fall eines Patienten, der über mehr als zwei Jahre psychotherapeutische Hilfe wegen einer Depression in Anspruch genommen hatte, bevor sich herausstellte, dass ein Vitamin‑B12‑Mangel aufgrund seiner veganen Ernährung für die psychische Situation verantwortlich war. Nach einer B12‑Substitution verschwand die Depression sofort. Der vortragende Arzt kommentierte das mit den Worten, der „Patient hätte also gar keine Depression gehabt“. Auf meine Frage, welche Erkrankung er denn stattdessen diagnostiziert hätte, wusste er keine Antwort. Bei dem Patienten lag nämlich eindeutig eine Depression vor - eben eine aufgrund B12‑Mangels.
Das Beispiel ist leider kein Einzelfall und demonstriert auf anschauliche Weise die immer noch vorherrschenden diffusen Vorstellungen über psychiatrische Erkrankungen, deren Symptome und Ursachen.
Nicht nur in Medizin bzw. Psychiatrie, auch in der psychologisch-therapeutischen Ausbildung wurden über Jahrzehnte Defizite angehäuft. Erich Kasten, Professor für Klinische Psychologie, beschreibt die Folgen: „«Cogito ergo sum» sagte René Descartes vor über 400 Jahren und schuf damit die Zweiteilung von Körper und Seele. Seitdem sind Medizin und Psychologie getrennte Wissenschaften, die oft nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. (...) In der Psychotherapie-Ausbildung werden erst seit einigen Jahren auch Kenntnisse über organische Ursachen psychischer Störungen verlangt. Aller Wahrscheinlichkeit nach gelangen jedes Jahr mehrere Tausend Patienten auf die Couch der Psychoanalytiker oder in die Sprechzimmer von Verhaltenstherapeuten, die dort gar nicht hingehören.“ (Quelle: Erich Kasten, http://www.erich-kasten.de/...).
Eine Hauptursache für Verständnisprobleme psychischer Erkrankungen ist deren schwierige Objektivierbarkeit. Es sind massive Störungen der Erlebnis- und Gefühlswelt, die von nicht direkt Betroffenen oft nur schwer oder gar nicht nachzuvollziehen sind, mögen sie als Ärzte, Heilpraktiker oder Psychologen auch noch so viele Fachausbildungen absolviert oder praktische Erfahrungen mit Patienten gemacht haben.
Ein Knochenbruch oder ein Sekundärkarzinom der Leber ist als Erkrankung des Körpers relativ leicht zu begreifen, und Ursachen‑Wirkungs‑Beziehungen sind oft problemlos herzustellen. Aber welches Verständnis ist von Behandelnden bzw. Wissenschaftlern zu erwarten, die Affektstörungen oder Psychosen nur theoretisch aus Büchern oder Patientenschilderungen kennen, sich jedoch beruflich damit praktisch auseinandersetzen müssen? Es ist ‑ auch bei Fähigkeit zur Empathie ‑ vergleichbar mit dem Verständnis von Blinden, die sich mit dem Phänomen der Farben beschäftigen. Aber auch bei persönlichen Krankheitserfahrungen müssen sich Forscher und Therapeuten darüber im Klaren sein, dass sie das Erleben anderer psychiatrisch erkrankter Personen nicht objektiv nachempfinden können. Das ist nicht sarkastisch oder abwertend gemeint, sondern eine Tatsache. Dieser Tatsache sollte sich jeder ‑ Behandelnder und, sofern möglich, auch der Patient ‑ bewusst sein.
All das zu beachten ist wichtig, um vor voreiligen und falschen Interpretationen bzw. ineffektiven Therapiebemühungen zumindest bis zu einem gewissen Punkt geschützt zu sein.
Die Schwierigkeit, das Wesen affektiver und anderer psychiatrischer Erkrankungen zu verstehen, liegt auch am allgemein falschen bzw. laxen sprachlichen Umgang mit den Begriffen. So werden unreflektiert und nachlässig auf völlig unpassende und verallgemeinernde Weise negative emotionale Zustände oft als depressiv bzw. Depression bezeichnet, die nicht im Entferntesten etwas mit dieser Erkrankung zu tun haben.
Auch in Literatur, Theater oder Film werden psychiatrische Erkrankungen häufig realitätsfern dargestellt und die Beschreibungen der Situationen Betroffener bzw. von Erkrankungscharakteristiken dramaturgischen Bedürfnissen angepasst mit der Folge völlig verzerrter Darstellungen, die Leser oder Zuschauer dann als Wirklichkeit missverstehen.
Quintessenz: Es fehlt immer noch an ausreichenden Bemühungen, sämtliche Aspekte psychiatrischer Erkrankungen im Allgemeinen und von Affektstörungen im Besonderen zu analysieren, zu verstehen und in einen nachvollziehbaren, plausiblen Zusammenhang zu bringen.
Die Aufteilung der Nervenheilkunde in Psychiatrie und Neurologie ist aufgrund der dadurch entstandenen Konkurrenzsituationen ungünstig. In Deutschland gibt es noch eine medizinische Fachrichtung für Neuropathologie. Therapeuten und Wissenschaftler zahlreicher psychologischer Fachrichtungen vertreten unterschiedliche Theorien über die Ursachen von Affektstörungen. Zu allem Überfluss begaben sich die Vertreter von Psychiatrie und Psychologie in Fragen der Deutungshoheit in einen äußerst unglücklichen Konkurrenzkampf. Die im Jahr 1992 in Deutschland eingeführte medizinische Fachrichtung „Psychotherapeutische Medizin“ führte zu einer weiteren Zersplitterung. Später wurde die Facharztbezeichnung geändert in „Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“. Auf Seiten der Psychiatrie wurde ‑ um den Anspruch auf die Ausübung der Psychotherapie zu unterstreichen ‑ mit der Umbenennung des Fachgebiets in „Psychiatrie und Psychotherapie“ prompt reagiert. Die Kriegsbeile sind bis heute nicht vergraben. Die Pharmahersteller verfolgen ebenfalls eigene Interessen und machen damit das Durcheinander komplett.
Alle Problematiken machen es für Behandelnde und Patienten zu einer schwierigen Herausforderung, die Depression als klinische Erkrankung zu erkennen, effektiv zu behandeln und von der depressiven Verstimmung oder einer Lebenskrise zu unterscheiden. Die beiden zuletzt genannten Zustände sind nicht mit einer Depression im hier verstandenen Sinne vergleichbar, auch wenn sie für Betroffene mit vergleichbaren Konsequenzen verbunden sein können.
Während depressive Verstimmungen eine natürliche Reaktion auf als negativ empfundene Lebenssituationen sind und nach deren Beseitigung verschwinden, ist das bei einer Depression nicht der Fall.
Allerdings sind depressive Verstimmungen aufgrund ihres Stresspotentials mittel- bis langfristig in der Lage, die Entstehung einer klinischen Depression zu begünstigen oder diese sogar maßgeblich auszulösen, was die Gemengelage noch unübersichtlicher macht. Es ist auch nicht ungewöhnlich, an einer Depression zu erkranken und sich unabhängig davon noch in einer Lebenskrise zu befinden oder depressive Verstimmungen zu haben, was die Sache weiter verkompliziert.
Es ist aber wichtig, zu differenzieren und sich der Unterschiede verschiedener Erkrankungscharakteristiken bewusst zu sein, da dies sowohl für das Verständnis individueller Ursachen als auch für eine auf Grundlage dieser individuellen Ursachen konzipierten patientengerechten Therapie notwendig ist.
Gerade eine differenzierte Betrachtung könnte den Gegensatz zwischen Psychikern und Somatikern zumindest teilweise auflösen und beide Gruppen miteinander versöhnen: Nämlich wenn es gelingt, plausible Annahmen über die organischen Auswirkungen psychischer Stressfaktoren auf das Gehirn zu formulieren. Würden sich die Annahmen mit Hilfe von Studien oder modernen Diagnoseverfahren bestätigen, gehörte der Gegensatz Psychiker‑Somatiker wohl endgültig der Vergangenheit an.
Die hier aufgestellten Hypothesen postulieren auf zwei Kausalebenen Affektive Störungen aus einer somatologischen Sicht als organisch verursacht. Sie beruhen auf Rudolph Virchows Gedanken, dass Organerkrankungen auf Zellfunktionsstörungen zurückzuführen sind:
Typische Merkmale einer Depression, beispielsweise Stimmungstiefs, Antriebsarmut, emotionale Verflachung oder Konzentrationsprobleme, beruhen primär auf einem dreistufigen degenerativen Veränderungsprozess von Nerven‑ und Gliazellen in Hirnarealen, die für diese Merkmale verantwortlich sind. Mit dieser Hypothese lassen sich komplexe Phänomene der Erkrankung begründen, beispielsweise Symptomvielfalt, psychosomatische Aspekte oder die individuelle psychische Resilienz. Damit sind die grundlegenden Primärursachen einer Depression mit den grundlegenden Primärursachen anderer zentralnervöser Erkrankungen, beispielsweise Demenz, Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose, vergleichbar.
Die Hypothese genügt den Anforderungen des vom Wissenschaftstheoretiker Wilhelm von Ockham (ca. 1285 ‑ 1345) begründeten Parsinomieprinzips. Danach soll eine Theorie sparsam mit Erklärungen und geringer Komplexität begründet werden: Je einfacher eine Theorie ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zutrifft ‑ unter der Bedingung ihrer Plausibilität.
Die im ersten Kapitel formulierten Hypothesen enthalten keine Aussagen über die unmittelbaren Auslöser der hirnorganischen Veränderungen. Diese werden in den Kapiteln 3 und 4 identifiziert. Da die Hypothesen des Kapitels 1 auf Annahmen über Zellveränderungen beruhen, ist eine Zellanalyse unabdingbar, wenn die Auslöseridentifikation gelingen soll.
Ein Zellprozessmodell, das alle Abläufe komprimiert darstellt, ohne es mit verzichtbaren Details zu überfrachten, stellt dafür die Grundlage dar. Auch hier ist Ockhams Parsinomieprinzip ein Leitmotiv: So viele Elemente wie nötig, so wenig Elemente wie möglich sind die Voraussetzungen einer erfolgversprechenden Ursachensuche.
Das Modell ordnet Zellprozesse auf zwei Ebenen und trennt die Proteinbiosynthese prominent auf der oberen Ebene von den restlichen Prozessen. Acht Substanzen(‑gruppen) gelten als Faktoren, ebenfalls Modellbestandteile sind Eiweißmoleküle in Form kurz- und langkettiger Peptide. Letztere resultieren direkt aus der Proteinbiosynthese.
ABBILDUNG B: ZWEI PROZESSEBENEN, PROTEINBIOSYNTHESE, FAKTOREN UND PROTEINE/PEPTIDE
Abbildung B: Das in Kapitel 2 erarbeitete Zellprozessmodell ‑ hier in einer vereinfachten Darstellung ‑ weist zwei Prozessebenen auf. Zur korrekten Prozessdurchführung auf beiden Ebenen nutzt eine Zelle zwei unterschiedliche Kategorien von Substanzen. Zum einen sind das acht Faktoren bzw. Gruppen von Faktoren und zum anderen Eiweißmoleküle (Peptide/Proteine). Die elterliche Erbinformation (1) stellt sämtliche ncRNA‑ und Gen‑Codes zur Durchführung der Proteinbiosynthese zur Verfügung. Sechs weitere Faktoren (2, 3, 4, 6, 7 und 8) gelangen fast ausschließlich von außen in die Zelle, nämlich Wasser, Sauerstoff, Aminosäuren, Fettsäuren, Glukose und Mikronährstoffe. Einzig die nicht‑codierenden Ribonukleinsäuren (ncRNA) stellen eine Ausnahme dar. Die für den korrekten Ablauf sämtlicher Proteinbiosyntheseprozesse zuständigen ncRNA‑Moleküle (5) werden durch Ablesen der Zell‑DNA zelltyp‑ bzw. funktionsspezifisch in jeder Zelle selbst produziert. Während der Embryogenese beeinflussen mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzlich speziesspezifische ncRNA die Entwicklung des entstehenden Organismus. Weitere Modellbestandteile sind die aus der Proteinbiosynthese resultierenden Eiweißmoleküle (Peptide).
Die Ergebnisse der Zellprozessanalysen sind klar und eindeutig:
Schon Kausaltheorie (Kapitel 1) und Zellprozessmodell (Kapitel 2) folgen Ockhams Sparsamkeitsprinzip und verdichten ohne Plausibilitätsverlust. Nun ist der nächste Schritt erfolgt, das Zellmodell von unnötigem Ballast zu bereinigen: Die Fokussierung auf acht dominierende Kausalfaktoren ist eine weitere konsequente Anwendung von Ockhams Prinzip (→ Abbildung C), bildlich auch Ockhams Rasiermesser genannt.
ABBILDUNG C: DAS ZELLPROZESSMODELL UNTER „OCKHAMS RASIERMESSER“
Abbildung C: Bei Anwendung von Ockhams Parsinomieprinzip ist die Betrachtung der unteren Zellebene entbehrlich. Übrig bleiben Proteinbiosynthese und acht Kausalfaktoren. Das Verständnis von Kausalfaktoren und Proteinbiosynthese ist der Schlüssel zum Verständnis fast aller Zellprozessprobleme. Auch die Relativierung der Bedeutung somatischer Mutationen der Zell‑DNA als neunte Zellschwachstelle, die mit einer weiteren Fokussierung auf die Kausalfaktoren einhergeht, genügt Ockhams Sparsamkeitsprinzip, dessen „Rasiermesser“ alle für die Zellschwachstellenidentifikation verzichtbaren Modellbestandteile abschneidet.
Eine Beschränkung auf acht Kausalfaktoren reicht immer noch nicht aus, wenn die entscheidenden Zellschwachstellen ermittelt werden sollen:
Es stellen sich u. a. folgende Fragen:
Die Beantwortung der Fragen ist nur nach einer Kausalfaktorenbewertung möglich. Um einen direkten Vergleich unterschiedlicher Substanzen zu ermöglichen, werden die Bewertungen einheitlich für jeden Kausalfaktor mit mehreren Kriterien durchgeführt. Erfüllt ein Kausalfaktor ein Kriterium, erhält er einen Punkt.
Je mehr Punkte ein Kausalfaktor bekommt, desto wichtiger ist die Beachtung seines Mangelzustandes vor allem im Hinblick auf eine sich mittel- bis langfristig entwickelnde degenerative Erkrankung.
Die Punktevergabe hat drei Relevanzgruppen als Ergebnis:
Die Rangfolge zeigt, dass nicht‑codierende RNA mit Abstand am bedeutendsten dafür sind, Zellprozessstörungen zu minimieren oder im besten Falle zu verhindern. Fehlerhafte ncRNA‑Moleküle, zu geringe Mengen oder gänzlich fehlende ncRNA sind im Umkehrschluss hauptsächlich für Zellprozessstörungen verantwortlich.
ABBILDUNG D: DIE BEDEUTUNG NICHT-CODIERENDER RIBONUKLEINSÄUREN
Abbildung D: Nicht‑codierende RNA stellen eine Ausnahme innerhalb der Gruppe der Kausalfaktoren dar, denn die für den korrekten Ablauf sämtlicher Proteinbiosyntheseprozesse wichtigen Moleküle werden durch Ablesen der DNA zelltyp- bzw. funktionsspezifisch in jeder Zelle produziert und sind mutationsgefährdet. Ein Vergleich und die Bewertung aller Kausalfaktoren nach gemeinsamen Kriterien ergibt, dass Mangelversorgungen mit zelltyp- und funktionsspezifischer ncRNA die mit Abstand größten Gefahrenquellen für die Entstehung degenerativer Erkrankungen und Zellalterung darstellen.
Die hohe Bedeutung der ncRNA ist auch mit ihrem Ursprung als Codes auf der Zell‑DNA zu begründen, denn ncRNA‑Moleküle sind dadurch nicht nur von Keimbahnmutationen der elterlichen DNA und von somatischen Mutationen der Zell‑DNA bedroht, sie müssen darüber hinaus von einer Zelle aus eigener Kraft durch einen aufwändigen Transkriptionsprozess synthetisiert werden (→ Abbildung E).
Im Gegensatz dazu gibt es bei von außen zugeführten Kausalfaktoren (Wasser, Sauerstoff, Mikro- und Makronähstoffe) weder eine Gefährdung durch Mutationen noch einen vergleichbar aufwändigen Herstellungsprozess. Darüber hinaus ist ihr Mangel relativ leicht zu substituieren.
Dass sich als Resultat aller kausaltheoretischen Betrachtungen eine einzige Kausalfaktorgruppe als die entscheidende Ursache degenerativer Zellerkrankungen herausstellt, ist ein weiterer Hinweis auf die Relevanz des Ockham'schen Parsinomieprinzips.
ABBILDUNG E: MUTATIONEN NICHT-CODIERENDER RIBONUKLEINSÄUREN UND IHRE KONSEQUENZEN
Abbildung E: Durch den Umstand, dass ncRNA‑Moleküle den bedeutendsten aller Zellprozesse - nämlich die Proteinbiosynthese - maßgeblich steuern, ist der gesamte Zellstoffwechsel in besonderem Maße auf ihre korrekte Arbeit angewiesen. Zu wenig ncRNA oder fehlerhaft codierte ncRNA lässt die Proteinbiosynthese aus dem Ruder laufen ‑ mit verheerenden Folgen für sämtliche Zellprozesse. Keimbahnmutationen der elterlichen DNA und vor allem somatische Mutationen direkt an der Zell‑DNA führen wesentlich häufiger zu ncRNA-Defekten als zu Gendefekten. Die Ursache ist die große Anzahl der ncRNA‑Codes und der im Vergleich geringen Anzahl von Gen‑Codes. Etwa 95% aller DNA‑Codes repräsentieren ncRNA, Gene für Peptide und Proteine sind demgegenüber nur in vergleichsweise verschwindender Menge vorhanden, nach neuesten Forschungen beim Menschen nur etwa 25.500 Gene. Degenerative Erkrankungen und Zellalterung sind vor allem die Folge einer sich im Zeitablauf immer weiter erhöhenden Akkumulation von ncRNA‑Fehlcodes der Zell‑DNA. Die Hauptfokussierung auf ncRNA-Moleküle stellt die konsequenteste Anwendung des Ockham'schen Rasiermesserprinzips dar.
Die Bedeutung nicht-codierender RNA-Moleküle wird in Biologie und Medizin erst seit wenigen Jahren diskutiert, denn sie wurden erst Ende der 1990er Jahre von zwei amerikanischen Wissenschaftlern entdeckt (Quelle: Driver/Fire/Montgomery/Kostas/Mello, Potent and specific genetic interference by double-stranded RNA in Caenorhabditis elegans, Nature Journal No. 391, 2/1998, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/...).
Andrew Fire und Craig Mello erhielten dafür schon acht Jahre später gemeinsam den Medizinnobelpreis.
Etwa 95% des aktiven menschlichen Genoms enthalten ncRNA‑Codes, von denen die überwiegende Anzahl die Proteinbiosynthese reguliert bzw. moduliert. Erwachsenen Körperzellen unterscheiden sich untereinander hauptsächlich durch ihre zellspezifische ncRNA: Jeder Zelltyp verwendet einen individuellen Mix zelltyp- bzw. funktionsspezifischer ncRNA‑Kombinationen zur Genregulation.
Nicht-codierende RNA‑Moleküle werden konservativ vererbt. Das bedeutet: Sie sind in den verschiedenen Zellen ausgewachsener Säugetierarten jeweils identisch oder fast identisch, teilweise sogar über unterschiedliche Tiergattungen hinweg (Säugetiere, Fische etc.).
RNA-Moleküle, die erwachsene Körperzellen genregulieren, sind demnach zelltypspezifisch, nicht jedoch speziestypisch.
Das bedeutet an einem konkreten Beispiel von Säugetieren: Die Gene einer erwachsenen Herzmuskelzelle von Katze, Hund oder Mensch werden mit einem identischen ncRNA‑Mix moduliert. Die Gene einer erwachsenen Leberzelle von Katze, Hund oder Mensch werden ebenfalls mit einem identischen ncRNA-Mix moduliert, aber dieser Mix unterscheidet sich wiederum von dem ncRNA-Mix, den eine Herzzelle benötigt.
Es ist zu beachten, dass jedes Organ immer unterschiedliche Zellen in sich vereinigt. Im Herzen gibt es gestreifte und glatte Muskelzellen, es gibt spezielle Bindegewebezellen oder Gefäßzellen etc. Auch in der Leber gibt es unterschiedliche Zellen für unterschiedliche Aufgaben. Bei Betrachtung eines Gesamtorgans sind aber auch hier keine Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies feststellbar: Der organtypische Mix genregulierender ncRNA‑Moleküle ist zwischen verschiedenen Spezies in Summe identisch.
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Spezies Katze, Hund oder Mensch resultieren auf einer jeweils unterschiedlichen Embryogenese. Vermutlich regulieren in dieser Phase, vor allem zu Beginn nach der ersten Zellteilung, speziesspezifische ncRNA die Entwicklung des Embryos und der speziesspezifischen Merkmale. Diese ncRNA-Codes spielen dann in der späteren Embryonalphase bzw. nach der Geburt vermutlich keine Rolle mehr, die dazugehörigen ncRNA-Codes werden deaktiviert.
Auswirkungen eines Kausalfaktorenmangels und verschiedener negativer Umwelteinflüsse (externe Noxen) auf das Gehirn sind Themen des vierten Kapitels. Folgen sind somatische DNA-Mutationen, generelle Zellschäden, Kausalfaktorenengpässe oder eine anderweitige Belastung des Gesamtorganismus. Hier spielen unterschiedliche Noxen ihre verhängnisvollen Rollen, beispielsweise emotionaler Stress, energiereiche Strahlung, Industriegifte und sonstige Schadstoffe, Suchtstoffe, Ernährungsdefizite, vaskuläre Erkrankungen mit Störungen der Mikrodurchblutung des Gehirns in affektrelevanten Hirnarealen, chronische Erkrankungen, Infektionen durch Viren ‑ zum Beispiel durch das neuartige Virus SARS‑CoV‑2 bei Covid‑19 ‑, Bakterien oder Parasiten, Entzündungen, Mutationen, Traumata, Medikamente, ungünstige Schwankungen des Blutzuckers und Narkosemittel oder Sauerstoffmangel.
Gerade organische Hirnveränderungen aufgrund chronischen psychischen Stresses und die damit verbundene Gefahr Affektiver Störungen lassen sich mit Hilfe kausaltheoretischer Hypothesen gut nachvollziehen.
Auch hirnorganische Veränderungen aufgrund anderer Nervenerkrankungen können eigenständige Noxen einer Affektstörung sein, wenn die Veränderungen affektrelevante Hirnareale betreffen. So ist zu erklären, dass eine Erkrankung an Multipler Sklerose oder Morbus Parkinson mit einer Depression verbunden sein kann, nämlich dann, wenn die affektrelevanten Hirnareale von den degenerativen Veränderungen betroffen sind, die typisch für eine Erkrankung an Multipler Sklerose oder Morbus Parkinson sind. Das gilt potentiell auch für alle anderen neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen.
Die Kausaltheorie und ihre multikausale Erweiterung bestätigen die multifaktorielle Ätiopathogenese und bilden ein integriertes Multikausalmodell.
ABBILDUNG F: KAUSALTHEORIE UND MULTIKAUSALE THEORIE IM ÜBERBLICK
Abbildung F: Die unmittelbaren Ursachen neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen sind pathologische Gehirnveränderungen, wobei zwei Aspekte zu unterscheiden sind. Der erste Aspekt betrifft Zellveränderungen (Mikroebene), der zweite Aspekt betrifft die Lokalisation dieser Zellveränderungen im Gehirn (Makroebene). Das Wesen der Zellveränderungen auf der Mikroebene wird mit einem dreistufigen Modell erklärt, die Lokalisation dieser Zellveränderungen erfolgt mit Hilfe einer funktionsorientierten Gehirnlandkarte. Bestimmte innere oder äußere Einflüsse (Noxen) führen zu Schäden, die durch einen Mangel oder Mängel acht lebenswichtiger Kausalfaktoren oder durch Schäden an Zellstrukturen, zum Beispiel der Zell‑DNA, charakterisiert sind. Dies kann zu verschiedenen Formen von Zellprozessstörungen führen, vor allem zu Fehlsteuerungen der Proteinbiosynthese. In der Folge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu den oben beschriebenen pathologischen Gehirnveränderungen kommt. Darüber hinaus ist das Gehirn weiteren exogenen Noxen ausgesetzt, beispielweise schädlichen Substanzen, Erkrankungen des Körpers, radioaktiver Strahlung, Traumata oder psychosozialem Stress. Diese können Gehirnfunktion und Gehirnentwicklung sowohl über eine Verschlechterung der Kausalfaktorenversorgung als auch über direkte schädliche Einflüsse beeinträchtigen.
In Kapitel 5 werden konventionelle Therapiekonzepte bewertet, um danach ursächliche Behandlungsstrategien zu konzipieren und zu diskutieren (Kapitel 6 bis 8). Kausale Therapiestrategien orientieren sich an beiden Ursachenebenen der multikausalen Theorie und verfolgen zwei Behandlungsziele:
Mit sieben therapeutisch verfügbaren Kausalfaktoren besteht die Möglichkeit, Behandlungsziel 1 zu erreichen und dysfunktionale Zellprozesse positiv zu verändern, um den dreistufigen Prozess der Nerven- und Gliazellendegeneration zu stoppen und ggf. umzukehren (Kapitel 6 und 7). Engpässe der Kausalfaktoren werden mittels Analysen und Plausibilitätsüberlegungen individuell ermittelt und anschließend gezielt beseitigt:
Die ncRNA-Substitution (Kapitel 7) hat die höchste Priorität aufgrund der hohen Bedeutung der ncRNA als wichtigste Kausalfaktorgruppe.
Erst seit einigen Jahren rückt die unüberschaubare Anzahl unterschiedlicher ncRNA‑Moleküle, zum Beispiel micro‑RNA, immer stärker in den Fokus der Forschung. Einige von ihnen wurden erst vor etwa 20 Jahren entdeckt, und über deren genregulierende Funktionen weiß man entsprechend wenig. Es wird viel Aufwand betrieben, die komplexen Funktionen verschiedener ncRNA zu verstehen. Das ist mit der Hoffnung verbunden, einzelne ncRNA‑Moleküle künftig therapeutisch einsetzen zu können.
Auch die hier gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass ncRNA-Moleküle eine wichtige Basis ursächlicher Therapien sind, jedoch im Rahmen einer völlig anderen Behandlungsstrategie.
So müssen die für die wichtige Genregulation notwendigen micro‑RNA zelltypspezifisch bzw. funktionsspezifisch in ihrer ganzen Artenfülle dort zur Verfügung gestellt werden, wo sie fehlen oder fehlerhaft sind. Dies gilt insbesondere bei einer durch somatische DNA‑Mutationen unterschiedlichen Ursprungs behinderten Proteinbiosynthese, was bei zahlreichen degenerativen Erkrankungen der Fall ist.
Aber auch bei Vorliegen funktioneller und struktureller Schädigungen des Zentralnervensystems aus anderen Gründen, beispielsweise durch Lipidperoxidation innerer und äußerer Zellmembranen oder Proteinoxidation, besteht das Potential einer Regeneration geschädigten Zellgewebes durch Kausalfaktorenoptimierung, wobei auch hier die Substitution zelltyp- bzw. funktionsspezifischer ncRNA-Moleküle entscheidend ist. Mit ihr soll durch Korrektur und Aktivierung der Genregulation und die damit verbundene Gesundung und Steigerung der Proteinbiosynthese und des Eiweißstoffwechsels die Regeneration geschädigten Gewebes angeregt werden.
Zum Sparsamkeitsprinzip nach Ockham passt auch der Mythos von der Lösung des Gordischen Knotens. Er vermittelt anschaulich ein Bild der Funktionsweise der Kausalfaktorenoptimierung, insbesondere durch ncRNA‑Substitution: Die Organgesundung gelingt bei degenerativen Erkrankungen, wenn sich die zellspezifische Genregulation ‑ und damit die Proteinbiosynthese ‑ in allen Organzellen wieder normalisiert. Das garantiert die Lösung komplexer Zellprobleme aller nachfolgenden Zellprozessebenen. Die Normalisierung der Proteinbiosynthese durch die Substitution von ncRNA-Molekülen ist das Schwert, mit dem die Probleme des komplexen, unübersichtlichen Zellstoffwechsels pariert werden.
Da die Entdeckung genregulatorisch wirksamer RNA erst wenige Jahre zurückliegt, besteht erst seit kurzem die Möglichkeit, bestimmte Probleme im Zusammenhang mit der Modulation der Proteinbiosynthese überhaupt zu erkennen. Ein wirkliches Verständnis ihrer Mechanismen ist noch in weiter Ferne. Dadurch hat sich noch nicht die Erkenntnis durchsetzen können, dass Zellprobleme hauptsächlich auf genregulatorischen Störungen der oberen Prozessebene zurückzuführen sind. Vor allem die Substitution zelltyp- und funktionsspezifischer ncRNA ist hier eine vielversprechende Behandlungsstrategie.
Mit den üblichen heutigen Behandlungsmethoden wird stattdessen versucht, Vorgänge der unteren Zellprozessebene zu reparieren. Ein „Herumdoktern“ an den Prozessen der unteren Ebene kann aber nicht die Lösung sein, denn da ist ‑ um eine bekannte Metapher zu verwenden ‑ die Paste schon aus der Tube, und es wird schwierig, sie wieder dorthin zurückzubekommen. Mittels Kausalfaktoroptimierung ‑ und vor allem ncRNA‑Substitution ‑ normalisiert sich die zuvor in Unordnung geratene Proteinbiosynthese wieder. Oder mit der Metapher ausgedrückt: Die Paste bleibt da, wo sie hingehört, nämlich in der Tube.
ABBILDUNGEN G A/B: PRINZIP DER RNA-SUBSTITUTIONSTHERAPIE
Abbildungen Ga und Gb: Für degenerative Zellschäden und Zellalterung sind vor allem ncRNA‑Codemutationen verantwortlich, insbesondere die im Zeitablauf in allen Zellen entstehenden somatischen Mutationen. Generell ist es möglich, diese ncRNA‑Defizite mit von außen zugeführten ncRNA‑Molekülen auszugleichen. Dabei ist darauf zu achten, die ncRNA‑Moleküle in ihrer ganzen Artenfülle funktions- bzw. zelltypspezifisch zuzuführen. Nur so ist eine vollständige Korrektur der Modulation der Proteinbiosynthese und damit die Gesundung der Eiweißsynthese betroffener Zellen ‑ und damit des gesamten Organs ‑ möglich.
Um das zweite Behandlungsziel zur erreichen, sollten Strategien zur Beseitigung möglichst aller belastender und nervenschädigender externer Einflüsse gefunden werden, bei denen der Verdacht besteht, am Ausbruch oder der Verstärkung der Affektstörung beteiligt zu sein. Die Erarbeitung solcher Strategien ist Gegenstand des achten Kapitels.
Die Möglichkeiten bestehen beispielsweise in der Behandlung einer somatischen Grunderkrankung, einer langfristigen Vermeidung schädigender Umweltbelastungen oder Verhaltensweisen und dem Erkennen und Beseitigen der Quellen psychischer Überforderungen. Letzteres sollen vor allem psychotherapeutische Verfahren und Entspannungstechniken unterstützen.
Im dritten und letzten Teil (Kapitel 9 und 10) werden die vorgestellten Modelle und Methoden auf andere Nervenerkrankungen übertragen und geprüft, ob sie auch hier anwendbar sind. Die Schwerpunkte liegen in einer kurzen Analyse und Bewertung verschiedener Demenzformen, von Epilepsie, Morbus Parkinson, HOPS, Schizophrenie und dem Tourettesyndrom.
Das Ergebnis ist nicht überraschend: Nach den hier erörterten Analysen beruhen fast alle zentralnervösen Erkrankungen auf gleichen oder ähnlichen pathologischen zellulär‑molekularen Mechanismen. Das führt zwangsläufig zu Schlussfolgerungen über zukünftige Behandlungsstrategien mit dazu geeigneten molekularen Substanzen in der neurologisch-psychiatrischen Breitenmedizin.
Hier noch die Auflösung des eingangs erwähnten 9‑Punkte‑Tests. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Abbildung H zeigt eine davon.
ABBILDUNG H: EINE LÖSUNG DES 9-PUNKTE-TESTS
Abbildung H: Neun Punkte sollten mit maximal vier geraden Linien verbunden werden, ohne den Stift abzusetzen oder eine Linie doppelt zu zeichnen.
Um die Aufgabe bewältigen zu können, muss der quadratische Raum erweitert werden, im Beispiel unterhalb und rechts der Punkte. Nur dann ist eine Verbindung mit vier Linien möglich.
Die meisten Menschen verlassen bei ihrer Suche nach einer Lösung jedoch nicht den quadratischen Raum, den die Punkte suggerieren.
Kognitionspsychologen erklären das mit der Tendenz des Menschen zur Gestaltwahrnehmung. Aus den neun Punkten wird intuitiv ein Quadrat gebildet und als vorgegeben betrachtet. Erst wenn sich eine Versuchsperson von dieser Vorstellung löst, ist sie in Lage, ein Resultat wie das in Abbildung H gezeigte zu erzielen.
Folgendes sollte man zur Lösung komplexer, scheinbar unlösbarer Probleme daher tun: sich von abgetretenen Erkenntnispfaden fernhalten oder diese frühzeitig verlassen und keine vordergründigen Lösungswege verfolgen. Ebenfalls ist es ratsam, häufiger zurückzutreten, um mit Hilfe eines größeren Abstands eine bessere Übersicht über die Aufgabenstellung zu gewinnen.
Diese Maximen sind von jetzt an die Richtschnur und ermöglichen es überhaupt, die Modelle zu erarbeiten und die Suche nach Lösungen voranzutreiben, die auf den folgenden Seiten niedergeschrieben sind. Jeder ist nochmals herzlich dazu eingeladen, sich mit auf diese spannende Suche zu begeben.
Auf dieser Seite folgen nun Zusammenfassungen der Inhalte aller zehn Kapitel, die sich etwas detaillierter auf das Wesentliche beschränken. Mit Hilfe der Sprungmarken (Pfeil nach oben) gelangt man entweder zurück zum Seitenanfang oder wechselt ins jeweilige ausführliche Kapitel (Pfeil nach rechts).
Berlin, im März 2024
Hermann Schurz
Was kennzeichnet die Ursachen einer Depression auf hirnorganischer Ebene? Sind krankhafte Veränderungen von Hirnzellen für den Ausbruch einer Affekterkrankung verantwortlich? Haben bestimmte Hirnareale eine besondere Bedeutung? Wie sind die verschiedenen individuellen Symptome und Intensitäten einer Depression hirnorganisch zu erklären? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen vielen verschiedenen äußeren Einflüssen und potentiellen hirnorganischen Veränderungen, die zur Erkrankung führen?
Im ersten Teil (Kapitel 1 bis 4) dreht sich alles darum, diese (und noch weitere) Fragen plausibel und nachvollziehbar zu beantworten. Ziel ist, die Entstehung der Erkrankung ursächlich zu begründen.
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Therapien mit Psychopharmaka basieren auf der Monoaminmangelhypothese und manipulieren im Gehirn insbesondere die Monoamine Serotonin oder Noradrenalin. Bis heute gibt es weder verlässliche Aussagen über die Ursachen des angeblichen Mangels noch darüber, ob ein solcher Mangel überhaupt in der Lage wäre, affektive Erkrankungen zu verursachen. Die Funktionen einiger Botenstoffe sind unklar, vor allem hinsichtlich des Serotonins. Das wird häufig fahrlässig und entgegen aller wissenschaftlicher Erkenntnisse als „Glückshormon“ bezeichnet. Wichtige Fragen werden nicht ausreichend erörtert, zum Beispiel auf welchen hirnorganischen Defiziten affektive Erkrankungen grundätzlich beruhen könnten, oder welche Bedeutung unterschiedliche Hirnstrukturen bei der Erkrankungsgenese haben. Mangels wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse wird häufig die nebulöse Erklärung einer „Stoffwechselentgleisung im Gehirn“ als hirnorganische Ursache einer Depression bemüht.
Die Monoaminmangelhypothese wird von vielen Fachleuten und Betroffenen kritisiert, ebenfalls die ungenügende Wirksamkeit von Psychopharmaka, von denen ein großer Teil der Erkrankten nicht oder nur ungenügend profitiert. Wissenschaftliche Studien und praktische Erfahrungen zeigen deren Defizite in der Depressionsbehandlung.
Im ersten Schritt werden 14 Schwächen der Monoaminmangelhypothese herausgearbeitet. Auf Grundlage einer Mikrobetrachtung einzelner Hirnzellen und einer Makrobetrachtung unterschiedlicher Hirnregionen werden drei Hypothesen als Gegenentwurf formuliert.
Kern der Mikrobetrachtung ist ein erweitertes Verständnis von Reizverarbeitungsstörungen und neuronaler Dysfunktionalität (Hypothese 1) sowie einer Dysfunktionalität von Gliazellen (Hypothese 2) als Ursachen einer Depression. Gliazellen sind die zweite wichtige Zellart des Gehirns und übernehmen Aufgaben bei der Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Neuronen. Sie beeinflussen Reizentstehung, ‑weiterleitung und ‑übertragung direkt und indirekt. Spezialisierte Gliazellen steuern die Neurogenese und sind damit wesentlich an der Gesunderhaltung des Gehirns beteiligt. Funktionsgestörte Gliazellen kommen als (Mit‑)Verursacher einer affektiven Erkrankung infrage.
Die Makrobetrachtung umfasst einen funktionalen Vergleich verschiedener Hirnareale und ‑strukturen und eine Bewertung ihrer Anteile an der Entstehung und Verarbeitung von Emotionen bzw. Affekten:
Die daraus abgeleitete dritte Hypothese postuliert einen Zusammenhang zwischen einer Depression und einer Erkrankung affektrelevanter Hirnstrukturen.
Getrennte Betrachtungen von Mikroebene (einzelne Nerven- oder Gliazellen) und Makroebene (Hirnareale) reichen für die Formulierung einer schlüssigen Ursachentheorie noch nicht aus. Es fehlt noch eine vollständige Definition dessen, was eine erkrankte Hirnstruktur charakterisiert. Mit einem Modell untereinander vernetzter Nervenzellen wird eine dreistufige degenerative Entwicklung beschrieben, die zwei weitere Ursachen für Reizverarbeitungsprobleme gemäß These 1 benennt, die sich aus Störungen der Nervenzellvernetzung und einem Zelluntergang, Gliazellen eingeschlossen, ergeben. Das Modell wird als 3‑Stufen‑Modell bezeichnet und stellt die Verbindung zwischen Mikro- und Makrobetrachtung her bzw. ergänzt diese.
Zu Beginn der zweiten Hälfte des Kapitels werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und ein komplexes neurologisches Szenario als primäre Ursache einer Affektstörung beschrieben (Kausaltheorie).
Die Kausaltheorie ermöglicht es, plausible Aussagen über die Hintergründe verschiedener charakteristischer Merkmale von Affekterkrankungen zu machen, beispielsweise über psychosomatische Aspekte bzw. die psychische Komorbidität, Symptomvielfalt und über die Gründe von Chronifizierung oder unterschiedlicher Erkrankungsintensitäten. Auch das Phänomen patientenindividueller Resilienz lässt sich anhand der Modelle nachvollziehbar begründen.
Neuere Untersuchungsmethoden mit Hilfe der strukturellen oder funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT, fMRT) bzw. der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) stützen die Kausaltheorie, denn sie weisen bei affektiven Erkrankungen pathologische Veränderungen in affektrelevanten Hirnarealen nach.
Die Kausaltheorie beschreibt pathologische Zustände bzw. funktionelle und strukturelle Hirnveränderungen bei einer Depression, Manie oder Bipolaren Störung auf einer ersten Ursachen-Wirkungs-Ebene, ohne dafür verantwortliche Auslöser zu benennen.
Zu deren Identifizierung muss die Theorie um eine zweite Ursachen-Wirkungs-Ebene erweitert werden. Allen negativen Einflüssen der zweiten Ebene gemein ist deren Potential, die beschriebenen degenerativen Veränderungen und Nervenaktivitätsstörungen auf der ersten Ebene zu verursachen. Durch die Verknüpfung beider Ursachenebenen und einer gesamtheitlichen Betrachtung ergibt sich die Chance, ein multikausales Modell zu entwerfen.
Den Übergang zur multikausalen Betrachtung markiert eine vierte Hypothese, welche die pathologischen Aktivitäts- und Strukturveränderungen von Nervenzellen, Gliazellen und Gehirnarealen in Übereinstimmung mit Rudolf Virchows Zellpathologielehre mit Fehlprozessen im Inneren der Zellen in einen ursächlichen Zusammenhang bringt.
Um potentiellen Erkrankungsursachen überhaupt auf die Spur kommen zu können, wird ein einfaches Zellmodell benötigt, das sich auf die wesentlichen Stoffwechselprozesse konzentriert.
Die Erarbeitung eines solchen Modells ist daher ein Zwischenziel auf dem Weg, Zellschwachstellen zu identifzieren, zu analysieren und zu bewerten.
Das Zellprozessmodell vereint vier grundlegende Prozessbereiche:
Peptide und deren Synthese sind zentrale Modellbestandteile, denn sie bilden die Grundlage sämtlicher Zellprozesse. Jeder Prozess wird als eine durchgehende Abfolge vom Ablesen der genetischen Information auf der DNA über die Proteinbiosynthese bis zum einsatzfähigen Enzym bzw. Protein ‑ einschließlich dessen Aktivitäten ‑ verstanden.
Dabei übernimmt die Proteinbiosynthese eine Sonderrolle als ein allen nachfolgenden Abläufen vorgelagerter Hauptprozess auf einer oberen Zellprozessebene. Enzyme, Proteine und die meisten mit ihnen verbundenen Abläufe bilden die untere Zellprozessebene.
Lediglich die Enzyme und Proteine zur Durchführung der Proteinbiosynthese machen eine Ausnahme. Sie gehören als Substanzen zwar zur unteren Prozessebene, ihre Aktivitäten im Rahmen der Proteinsynthese jedoch zur oberen Ebene. Daraus resultiert ein Kreislauf zwischen der unteren und oberen Zellprozessebene bei der Proteinbiosynthese.
Auch Kern- und Zellteilung weisen einen vergleichbaren Prozesskreislauf auf zwischen der Mutterzelle und den beiden aus ihr hervorgehenden Tochterzellen.
Darüber hinaus stehen die Energieversorgungsprozesse mit sämtlichen Prozessen in Verbindung, denn ohne Energie ist kein Stoffwechsel denkbar.
Daraus folgen vier wichtige Prozessmodell-Charakteristika:
Die Proteinbiosynthese wird aufgrund ihrer fundamentalen Bedeutung ausführlicher beschrieben.
Zellprozesse benötigen neben Peptiden, das sind insbesondere Enzyme und Proteine, und Monoaminen noch weitere Substanzen, die als Faktoren bezeichnet werden. Ein Faktor übernimmt mindestens eine der nachfolgenden wichtigen Funktionen:
Bei den Faktoren handelt es sich um folgende acht Substanzen:
Hinweis: Einige Substanzen, beispielsweise die fünf Nukleinbasen Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin und Uracil, Hormone oder Mucopolysaccharide werden im Modell nicht gesondert als Faktoren berücksichtigt. So sind Basen als Elemente von DNA und RNA Modellbestandteile. Hormone oder Mucopolysaccharide werden mithilfe von Peptiden und auf Grundlage der acht Faktoren synthetisiert und sind somit im Modell indirekt repräsentiert.
Um herauszufinden, welche Zellbereiche unabhängig von äußeren Einflüssen besonders störanfällig sind, werden die dortigen Ursachen‑Wirkungs‑Zusammenhänge auf Grundlage des Zellprozessmodells analysiert.
Da das Zellmodell zwei Prozesskreisläufe und eine komplexe Verknüpfung des Energiestoffwechsels mit allen anderen Prozessen aufweist, ist eine absolute Bestimmung von Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen, das heißt einer absoluten Kausalität, nicht möglich. Durch eine isolierte Betrachtung wichtiger Teilbereiche lassen sich jedoch relative Kausalitäten definieren, was zur Identifikation von Zellschwachstellen ausreicht.
Ein bedeutender Bereich des Zellstoffwechsels ist die Proteinbiosynthese und ihre beiden Teilprozesse Transkription und Translation, mit denen sämtliche Peptide, hauptsächlich als Enzyme und Proteine, hergestellt werden.
Eine zentrale (relative) Kausalbeziehung lautet daher:
Transkription → mRNA → Translation → Peptide
Das scheint trivial, ist aber sehr bedeutend und wird in der Regel wenig beachtet: Sämtliche Peptide lassen sich kausal auf die Proteinbiosynthese (= Transkription und Translation) zurückführen.
Da die restlichen Zellprozesse nach der Proteinbiosynthese grundsätzlich auf Peptidaktivitäten basieren, kann eine allgemeingültige Prozesskette abgeleitet werden:
Transkription → mRNA → Translation → Peptide → Zellprozesse (Peptidaktivitäten)
Die zentrale Erkenntnis lautet: Die Proteinbiosynthese ist kein isolierter Prozess, sondern ein Bestandteil jedes einzelnen Zellablaufs. Dies hat weitreichende Folgen für die weiteren Analysen und weicht von allen traditionellen Auffassungen ab, bei denen Proteinbiosynthese und Folgeprozesse getrennt voneinander betrachtet werden, was die nachfolgende Darstellung beispielhaft veranschaulicht:
Zellprozess 1 (Transkription)
Zellprozess 2 (Translation)
Zellprozess 3 (...)
Zellprozess 4 (...)
...
...
Zellprozess 50.000 (...)
...
Zellprozess X (...)
Eine solche Sicht wird der Tatsache jedoch nicht gerecht, dass es eine Ursachen-Wirkungs-Beziehung zwischen Proteinbiosynthese und sämtlichen Zellprozessen gibt. Diese traditionelle Sicht widerspricht damit nicht nur den tatsächlichen biologischen Gegebenheiten in einer Zelle, sie macht es darüber hinaus auch unmöglich, Zellschwachstellen klar einzugrenzen.
Eine korrekte Modelldarstellung von Zellprozessen wäre demnach folgende:
Transkription Gen A → mRNA A → Translation → Peptid A → Zellprozess A
Transkription Gen B → mRNA B → Translation → Peptid B → Zellprozess B
Transkription Gen C → mRNA C → Translation → Peptid C → Zellprozess C
Transkription Gen D → mRNA D → Translation → Peptid D → Zellprozess D
...
...
Transkription Gen X → mRNA X → Translation → Peptid X → Zellprozess X
Mit dieser Sichtweise erhält die Proteinbiosynthese den ihr zustehenden höchsten Stellenwert des Zellstoffwechsels.
Nach dieser prozessorientierten Analyse werden sämtliche Substanzen und Substanzengruppen analysiert, die ebenfalls Bestandteile des Prozessmodells sind:
Die beiden erstgenannten Substanzen, die Nukleinsäuren Zell‑DNA und mRNA, üben während des Proteinbiosyntheseprozesses eine rein passive Informationsübertragungsfunktion aus.
Gleichwohl können sie während der Prozesse Schaden erleiden. Beispielsweise unterliegt die Zell‑DNA einer somatischen Mutationsgefahr. Somatische Mutationen sind ‑ meist unerwünschte ‑ Veränderungen von DNA‑Basensequenzen oder ganzen Chromosomen in einer Zelle.
Die verbleibenden neun Substanzen bzw. Substanzengruppen der Peptide und Faktoren gehören im Gegensatz zur Zell‑DNA und mRNA zu den aktiven Akteuren der Prozesse und stellen die Treiber des Zellgeschehens dar:
Peptide + acht Faktoren/Faktorengruppen => Zellprozesse
Damit besteht eine faktische Deckungsgleichheit von neun Substanzen bzw. Substanzengruppen mit den Zellprozessen, was als Kongruënz bezeichnet wird: Zellprozesse basieren ausschließlich auf der Existenz dieser neun Substanzen/-gruppen. Bei Anwesenheit dieser Substanzen in den benötigten Mengen und korrekten Formen entfalten sich die Zellprozesse automatisch fehlerfrei.
Ein Blick auf das Prozessmodell zeigt weiter, dass Peptide durch das Zusammenspiel der Faktoren während der Proteinbiosynthese entstehen. Daher müssen sie nicht mehr Bestandteile der Kongruënzannahme sein, sie werden ‑ mathematisch ausgedrückt ‑ „gekürzt“. Eine andere Argumentation basiert darauf, die Peptide als Endprodukte des Hauptprozesses aufzufassen. In diesem Falle sind sie schon Bestandteile der rechten Prozessseite der Kausalbeziehung, vergleichbar mit Zell‑DNA und mRNA, was aber zum gleichen Ergebnis führt. Die Kausalbeziehung vereinfacht sich zu:
Acht Faktoren/Faktorengruppen => Zellprozesse
Sämtliche Zellprozesse basieren damit ausschließlich auf der Existenz von acht Faktoren/Faktorengruppen, was auch als mathematische Funktion ausgedrückt werden kann:
Zellprozesse = f (Faktoren/Faktorengruppen)
Nur wenn eine Zelle ausreichend über alle sieben stoffwechselaktiven Faktoren auf Grundlage einer fehlerfreien ursprünglichen Erbinformation als achtem Faktor verfügt, ist die korrekte Synthese aller Enzyme und Proteine und damit auch der optimale Ablauf aller Prozesse gewährleistet.
Wenn aber Faktoren für Zellprozesse verantwortlich sind, müssen sie zwangsläufig im Falle von Fehlversorgungen jedweder Art auch für Zellprozessfehler (mit‑)verantwortlich sein:
Zellprozessfehler = f (Fehlerhafte Faktoren/Faktorengruppen)
Acht Faktoren(-gruppen) ergeben somit acht Zellschwachstellen, die jeweils durch Faktorenmängel bzw. Faktorenmangelversorgung charakterisiert sind:
Die ursprüngliche Kongruënzannahme, die acht Faktoren und Peptide umfasst, kann jetzt um die Gruppe der Peptide reduziert werden. Es besteht eine Kongruënz schon zwischen acht Faktoren und sämtlichen Prozessen. Das wird als Postulat der Dominanz der Faktoren über die Prozesse oder kurz als Dominanzpostulat bezeichnet.
Aufgrund des dominanten und kausalen Charakters der Faktoren und ihres Potentials, Hauptprozess (obere Prozessebene) und Nachfolgeprozesse (untere Prozessebene) zu stören, werden die acht Faktoren bzw. Faktorengruppen als Kausalfaktoren bezeichnet:
Zellprozesse = f (Kausalfaktoren)
Neben acht Zellschwachstellen drohen einer Zelle jedoch auch Gefahren durch schadhafte Veränderungen an der DNA‑Vorlage oder mRNA, was weiter oben schon kurz angedeutet wurde, in der Analyse aber noch zu berücksichtigen ist.
Es stellen sich drei Fragen, insbesondere die letzte Frage ist hier von Bedeutung:
DNA- oder mRNA-Veränderungen können Folgen von Codierungsfehlern während einer Informationsübertragung sein: von DNA auf DNA bei der Replikation, von DNA auf mRNA bei der Transkription und von mRNA auf Peptide während der Translation. Ebenfalls entstehen DNA‑Fehler auch unabhängig von der Informationsübertragung aufgrund anderer zellphysiologischer Vorgänge. Vergleichbares gilt auch für größere Chromosomenschäden.
Entscheidend sind aber ausschließlich Veränderungen von Gen‑ oder ncRNA‑Codes an der DNA‑Vorlage, denn nur sie haben das Potential, sich dauerhaft zu manifestieren und den Zellstoffwechsel langfristig zu schädigen. Die Problematik von mRNA-Schäden aufgrund physiologischer Vorgänge oder der Informationsübertragung spielt im Zellprozessmodell daher keine Rolle.
Zellen verfügen über verschiedene DNA‑Reparaturverfahren. Scheitert eine DNA‑Reparatur, werden die nun beständigen DNA‑Veränderungen als somatische Mutationen bezeichnet. Somatische Mutationen können die Proteinbiosynthese negativ beeinflussen, indem sie dauerhaft zu schädlichen ncRNA- und Peptidveränderungen auch in den nachfolgenden Tochterzellen führen.
DNA‑Reparaturprozesse sind ‑ wie alle anderen Prozesse auch ‑ von der Qualität und Verfügbarkeit der Kausalfaktoren abhängig (→ Dominanzpostulat). Damit werden Art und Anzahl der DNA‑Mutationen zellphysiologisch von Kausalfaktoren bzw. ihren Mängeln bestimmt: Die besondere Rolle der Kausalfaktoren bleibt erhalten.
Zwar existiert mit der DNA und der Gefahr somatischer Mutationen eine weitere, neunte Zellschwachstelle. Die Kausalfaktoren bleiben aber weiterhin die entscheidenden und damit auch problematischen Zellsubstanzen.
Im letzten Schritt wird das Fehlerverursacherpotential bzw. die allgemeine zellphysiologische Relevanz jedes Kausalfaktors bestimmt, für Prozessstörungen potentiell verantwortlich oder mitverantwortlich zu sein.
Bisher liegt ja nur die Erkenntnis vor, dass hauptsächlich Probleme mit acht Kausalfaktoren Zellprozessstörungen verantworten. Diese Erkenntnis ist zwar richtig und wichtig, hilft aber praktisch nicht weiter, da es sich um eine unüberschaubare Menge unterschiedlicher Einzelsubstanzen handelt.
Auf den ersten Blick erscheinen alle acht Kausalfaktoren gleich wichtig und unverzichtbar. Bestimmte Kausalfaktoren müssen jedoch im Vergleich mit anderen Kausalfaktoren bedeutender sein, da sie im Gegensatz zu diesen an besonders sensiblen Stellen in der Zelle aktiv sind.
Die Bestimmung der zellphysiologischen Relevanz erfolgt mit Hilfe von Ursachen-Wirkungs-Analysen und anhand geeigneter Relevanzkriterien. Aufgrund einer von der Außenwelt isolierten Analyse handelt sich um eine allgemein-abstrakte Bewertung. Es werden weder bestimmte Zelltypen, Erkrankungen, Veränderungen oder irgendwelche sonstigen Einflüsse von außerhalb berücksichtigt.
Es ergeben sich für Kausalfaktoren vier Relevanzklassen:
Alle Kausalfaktoren können einer der Relevanzklasse 2, 3 oder 4 zugeordnet werden.
Einzig die Kausalfaktorgruppe der nicht-codierenden Ribonukleinsäuren (ncRNA) erreicht die höchste Relevanzklasse 4. Bei Zellprozessstörungen ist daher nicht nur von einer hohen Wahrscheinlichkeit ihrer Mitbeteiligung auszugehen, sondern auch davon, dass sie absolut gesehen das größte Störpotential aller dysfunktionalen Kausalfaktoren haben.
Beides liegt unter anderem an deren großer Bedeutung für eine funktionierende Proteinbiosynthese und dem Umstand, dass die Gruppe der ncRNA als einzige unter den stoffwechselaktiven Kausalfaktoren auf der DNA codiert sind und damit ausnahmslos in der Zelle selber synthetisiert werden. Damit sind nur sie sowohl durch Mutationen der ursprünglichen elterlichen Erbinformation als auch durch somatische DNA‑Mutationen gefährdet.
►
Kapitel 4 zeigt Verbindungen und Konsequenzen zwischen dem kausaltheoretischen Szenario (→ Kapitel 1) und den Ergebnissen der Kapitel 2 und 3: Wie ist es möglich, dass neun Zellschwachstellen (Teil A) und exogene (Umwelt-)Einflüsse bzw. exogene Stressoren/Noxen (Teil B) in einer Affektstörung münden?
Nach der Ermittlung der allgemeinen Relevanz in Kapitel 3 steht damit die spezielle Relevanz der Zellschwachstellen bzw. Umwelteinflüsse im Zusammenhang mit Affektstörungen im Vordergrund. Nerven- und Gliazellen werden von außen und innen mit verschiedenen Kausalfaktoren versorgt und sind auf vielfältige Weise mit ihrer Umwelt verbunden und von ihr abhängig. Darin liegt eine Gefahr, denn es drohen vielerlei potentiell schädigende Einflüsse.
Die Analyse erfolgt auf der Grundlage hier erörterter Thesen und Modelle. Falls möglich und sinnvoll werden empirische Untersuchungen, Forschungsergebnisse, weitere Theorien oder Erkenntnisse der Erfahrungsmedizin berücksichtigt. Da eine große Anzahl von Noxen in die Untersuchungen einbezogen werden, zwischen denen es manchmal Zusammenhänge gibt und die sich gegenseitig beeinflussen, können redundante Darstellungen nicht immer vermieden werden.
Die Darstellungen in Kapitel 4 sind umfangbedingt zweigeteilt. Teil 4 A beschäftigt sich mit den Folgen von neun Zellschwachstellen, während Teil 4 B sich den restlichen von außen einwirkenden psychosozialen, abiotischen und biotischen Noxen widmet.
In Teil 4 A erfolgt zunächst die Darstellung der Konsequenzen von DNA‑Mutationen, danach werden Ursachen und Folgen dysfunktionaler Kausalfaktoren erörtert. Die Kausalfaktoren werden in der Reihenfolge ihrer allgemeinen zellphysiologischen Relevanz diskutiert, wobei mit den geringrelevanten Faktoren begonnen wird:
Im Teil 4 B werden die Zusammenhänge zwischen Affektstörungen und folgenden Noxen erörtert:
Die Ergebnisse von Kapitel 4 bestätigen die multifaktorielle Ätiopathogenese auf der Grundlage eines integrierten Gesamtmodells: Jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens verschiedenen schädlichen Noxen ausgesetzt, die sein Gehirn kontinuierlich belasten, sich ggf. akkumulieren und die in der Kausaltheorie postulierten hirnorganischen Schädigungen hervorrufen.
Somit steigt die Gefahr des Ausbruchs, Fortbestands oder der Verstärkung einer psychiatrischen Erkrankung, zum Beispiel einer Affektstörung, mit jeder einzelnen Noxe.
Die Anamnese einer Affektiven Störung und Beurteilung ihrer speziellen Entstehungsgründe muss daher im Rahmen einer individuellen Ursachensuche auf beiden Kausalebenen erfolgen und alle endogenen und exogenen Einflüsse aufgrund der besonderen Lebensgeschichte eines Patienten berücksichtigen.
Eine auf diesen Grundsätzen durchgeführte Anamnese ist nicht nur der Schlüssel zum Verständnis individueller Krankenhistorien, sie ist vor allem eine wichtige Grundlage zur Erarbeitung und Durchführung individuell zugeschnittener kausaler Behandlungskonzepte.
Im zweiten Teil werden Therapiekonzepte gegen Affekterkrankungen diskutiert, die den Anforderungen einer ursächlichen Behandlung nach den hier erarbeiteten Modellen genügen.
Es werden zwei Behandlungsebenen unterschieden, die sich an den beiden Kausalebenen der Modelle orientieren.
Auf Ebene 1 wird die Behandlung auf das dysfunktionale zellulär‑organische System fokussiert, auf Ebene 2 stehen die in Kapitel 4 diskutierten externe Einflüsse auf das zellulär-organische System im Vordergrund:
Beide Ebenen sind aus naheliegenden Gründen nicht strikt voneinander zu trennen, da die Versorgung mit Kausalfaktoren hauptsächlich exogenen Einflüssen unterliegt (→ Kapitel 4). Diese Zusammenhänge werden bei der Diskussion berücksichtigt.
Mit den Inhalten der folgenden Kapitel sind ausdrücklich keine Heilversprechen verbunden. Alle dargestellten Therapiestrategien beruhen auf den hier erarbeiteten Theorien und Modellen und bilden die Grundlage für Vorschläge künftiger Behandlungsstandards neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen. Sie sind nicht als Anleitung zur Selbstmedikation geeignet. Bei gesundheitlichen Problemen sollte umgehend ein Arzt oder Heilpraktiker konsultiert werden.
Im nachfolgenden Kapitel 5 stehen zunächst etablierte symptomatische Behandlungsverfahren im Mittelpunkt.
Symptomatische und pseudo-kausale Therapien, die lediglich auf die Beseitigung von Symptomen einer Affektiven Störung zielen, werden auf Grundlage hier erarbeiteter Thesen und Modelle analysiert.
Zunächst sind das die wichtigsten Antidepressiva:
Für einen Teil der Patienten sind diese Medikamente durchaus hilfreich, auch wenn sie die Erkrankung nicht heilen können. Bei einem großen Teil Betroffener wiederum sind sie völlig wirkungslos oder wirken nur unzureichend. Das sind vor allem Patienten, bei denen therapieresistente Affektive Störungen diagnostiziert werden. Es werden Hypothesen formuliert, welche Gründe es hierfür geben kann.
Aus der Gruppe symptomatischer nicht medikamentöser Behandlungen werden thematisiert:
Die Darstellung der orthomolekularen Therapie mit hoch dosierten Mikronährstoffen und Aminosäuren (ohne Antioxidantien) erfolgt ebenfalls an dieser Stelle.
Die orthomolekulare Therapie ist abzugrenzen von der Mikronährstoffausgleichstherapie, die nachweisbare Mikronährstoffdefizite (z. B. Vitamin B12 bei B12-Mangel) beseitigt, und der Therapie mit Antioxidantien, welche die Zahl somatischer und durch oxidativen Stress bedingte DNA‑Mutationen verringern soll. Diese werden als ursächliche Verfahren bewertet, da bei ihnen Kausalfaktoren zum Einsatz kommen (→ Kapitel 6).
Sechs der stoffwechselaktiven Kausalfaktoren werden dem Körper überwiegend über die Nahrung bzw. Atmung zugeführt. Sie haben aufgrund der hier getroffenen Bewertungen (→ Kapitel 3) bei Mangelzuständen bzw. Dysfunktionalität zellphysiologisch eine geringe Relevanz (Aminosäuren, Mikronährstoffe, Lipide/Lipoïde, Wasser) bis mittlere Relevanz (Glukose, Sauerstoff) Zellstörungen zu verursachen.
Dabei handelt es sich um eine Durchschnittsbewertung. Bei einzelnen Patienten kann das anders sein und hängt vor allem von den Lebensumständen ab. So beeinflussen bestimmte chronische Erkrankungen oder eine allgemeine Nahrungsmittelknappheit, zum Beispiel in Ländern der 3. Welt, die Versorgungssituation negativ und dann sind diese Kausalfaktoren für Betroffene natürlich relevanter im Vergleich zu Patienten, die von diesen Situationen nicht betroffen sind.
Die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der Verfahren werden in der Reihenfolge der durchschnittlichen Relevanz der zum Einsatz kommenden Kausalfaktoren beschrieben:
Die Gruppe der nicht‑codierenden Ribonukleinsäuren (ncRNA) hat die höchste zellphysiologische Relevanz unter den Kausalfaktoren. Die ncRNA‑Moleküle werden nicht ‑ wie die anderen stoffwechselaktiven Kausalfaktoren ‑ über Nahrung oder Atmung zugeführt, sondern in gesunden Zellen bedarfsgerecht durch Transkription synthetisiert.
Die Codes der ncRNA-Moleküle befinden sich auf dem gesamten Erbgut und werden zelltypspezifisch abgelesen. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen, dass das menschliche Erbgut hauptsächlich ncRNA-Codes enthält, während die Zahl der Gen‑Codes, die durch Translation in Proteine und Enzyme übersetzt werden, demgegenüber vergleichsweise gering sind.
Bei durch ncRNA-Mangel verursachten primären Proteinbiosynthesestörungen bestehen unter den Modellannahmen Einsatzmöglichkeiten exogener ncRNA. Ebenfalls sind exogene ncRNA zur allgemeinen Aktivierung der Proteinbiosynthese geeignet.
Eine primär gestörte Proteinbiosynthese* ist das Resultat vor allem...
Mit der ncRNA-Substitution werden zwei Behandlungsziele verfolgt:
Die Strategie der ncRNA-Substitutionstherapie kann mit der Metapher von der Paste beschrieben werden, die in der Tube bleiben muss, weil man sie nicht mehr dorthin zurückbekommt. So schafft eine durch Genregulationsfehler primär gestörte Proteinbiosynthese unzählige Probleme auf der unteren Zellprozessebene, die von dort aus nachträglich nicht mehr oder maximal unzulänglich korrigiert werden können. Daher muss dafür Sorge getragen werden, dass die übergeordnete Proteinbiosynthese optimal durchgeführt wird, und die „Paste in der Tube bleibt“. Dagegen wird mit den meisten konventionellen Therapiekonzepten versucht, durch Interventionen auf der unteren Prozessebene die „Paste wieder in die Tube zu drücken“, was aber nicht gelingen kann.
Einen sehr anschaulichen Vergleich ermöglicht darüber hinaus Plutarch mit seiner Geschichte der Auflösung des Gordischen Knotens. Die Substitution zelltypspezifischer RNA löst den Knoten komplexer und vielzahliger Zellprozessprobleme der unteren Zellprozessebene, indem sie - mit Unterstützung der restlichen Kausalfaktoren - die fehlerhafte Genregulation der oberen Zellprozessebene normalisiert. Sie schafft so die Voraussetzungen, dass sich sämtliche der Proteinbiosynthese nachfolgenden Zellprozesse ebenfalls wieder normalisieren. Das aus einer Vielzahl von Zellen bestehende erkrankte Organ erhält die Voraussetzungen zu einer wesentlichen oder sogar vollständigen Regeneration, da alle unterschiedlichen Organzelltypen mit den fehlenden zellspezifischen RNA versorgt werden.
Auswahl und Einsatz exogener ncRNA sind genau auf den Patientenbedarf abzustimmen, wobei mehrere Fragestellungen berücksichtigt werden müssen:
Im letzten Kapitel von Teil II geht es um Strategien gegen chronisch‑somatische Grunderkrankungen bzw. schädliche Umweltbedingungen mit ihren negativen Auswirkungen auf das Zentralnervensystem. Das Gleiche gilt für alle anderen ungünstigen Lebenssituationen, die (Dauer‑)Stress zur Folge haben, zum Beispiel psychische Belastungen oder ein toxisches soziales bzw. familiäres Umfeld. Alle diese Einflüsse haben das Potential, eine Affekterkrankung auszulösen oder zu verstärken (→ Kapitel 4) und behindern den Genesungsprozess.
Chronische Erkrankungen des Körpers müssen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Gehirn bewertet und behandelt werden. Dafür ist ‑ neben herkömmlichen Behandlungsmethoden ‑ auch der (zusätzliche) therapeutische Einsatz zur Verfügung stehender Kausalfaktoren in Betracht zu ziehen, was insbesondere für exogene ncRNA gilt. Letztere vor allem dann, wenn die Erkrankung auf konservativem Wege nur schwer in den Griff zu bekommen ist. Eine ausführliche Darstellung würde den Rahmen dieser Publikation sprengen, so dass sie nur knapp erfolgt und an anderer Stelle fortgesetzt werden muss.
Darüber hinaus sind Situationen zu vermeiden, in denen sich ein Patient ständig erkrankungsverursachenden Situationen aussetzt. Dazu gehört beispielsweise auch die Beseitigung von Lichtmangel oder die Beendigung eines Missbrauchs psychotroper Substanzen.
Zielorientierte tiefenpsychologisch orientierte Psychotherapien und Verhaltenstherapien sollen Hilfestellungen im Alltag bieten. Mit ihrer Hilfe werden psychosoziale Stressfaktoren identifiziert und dem Patienten Vermeidungsstrategien eröffnet. Zusammen mit dem Einsatz von Entspannungstechniken soll auf diese Weise emotionaler und somatischer Stress reduziert werden.
Die wichtigsten Psychotherapie- und Entspannungsverfahren werden hinsichtlich beider Geschichtspunkte beschrieben und bewertet:
Im dritten und letzten Teil (Kapitel 9 und 10) wird geprüft, ob die bisher erarbeiteten Modelle auf andere Nervenerkrankungen übertragbar sind.
Das Resultat ist nicht überraschend: Fast alle zentralnervösen Erkrankungen beruhen auf pathologischen zellulär-molekularen Mechanismen, die auch für Affektstörungen charakteristisch sind.
Diese Einsicht ermöglicht es nun, die schon gegen Affektstörungen erörterten Behandlungsstrategien auch im Zusammenhang mit anderen zentralnervösen Erkrankungen zu diskutieren.
Die Modelle und Erkenntnisse aus der Analyse Affektiver Störungen bilden die Grundlagen für eine Kurzanalyse anderer neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen und für die Diskussion kausaler Behandlungsmöglichkeiten.
Dabei geht es nicht nur um Heilung. Viele mit Oligophrenien oder sonstigen neurologischen Ausfällen einhergehende Erkrankungen, beispielsweise Trisomien oder Autismus, sind nicht heilbar im engeren Sinn. Jedoch kann die Substitution vor allem proteinsynthesesteuernder RNA dabei helfen, neurologische Symptome zu verringern durch eine gezielte Unterstützung bei Entwicklung und Optimierung des zentralen Nervensystems im Sinne einer neurologisch-kognitiven Rehabilitation.
Die Überlegungen werden anhand einer an die jeweilige Erkrankung modifizierten Kausaltheorie durchgeführt, die sowohl die Mikro- als auch Makrobetrachtung und das 3-Stufen-Modell betreffen. Endogene und exogene Einflüsse werden berücksichtigt und bewertet im Sinne einer multikausalen Erweiterung.
Es geht um folgende neurodegenerativen Erkrankungen mit Schwerpunkten auf Demenz, Epilepsie, Morbus Parkinson, HOPS, Schizophrenie und dem Tourettesyndrom. Ein weiterer Aspekt sind neurologische Erkrankungen, die primär genetischen Ursprungs sind oder bei denen dies vermutet wird, beispielsweise Chorea Huntington, um die Möglichkeiten einer Optimierung oder Rehabilitation durch ncRNA-Substitution zu diskutieren:
In der regenerativen Medizin der Zukunft werden molekulardiagnostische und molekulartherapeutische Verfahren immer wichtiger.
Auf Grundlage der hier diskutierten Modelle müssen bei degenerativen Erkrankungen des Nervensystems auf der zellphysiologischen Ebene alle proteinsynthetisierenden Vorgänge normalisiert werden. Aber auch gegen Nervenerkrankungen, die auf anderen bzw. unbekannten Ursachen beruhen, ist die Optimierung bzw. Aktivierung der Proteinbiosynthese eine Behandlungsoption.
Dabei ist gemäß den Modellen ein konzertierter Einsatz von sieben Kausalfaktoren entscheidend; aufgrund ihrer hohen Relevanz gilt das besonders für die proteinsynthesemodulierenden ncRNA, die zelltypspezifisch substituiert werden müssen.
Aufgrund der hohen Relevanz zelltypspezifischer ncRNA muss deren Anwendung auch in der medizinischen Rehabilitation schwerer neurologischer Erkrankungen zukünftig bedeutsam sein.
Zelltypspezifische ncRNA sind aber auch in der medizinischen Prophylaxe sinnvoll. Ziel dabei ist die Verminderung der Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs degenerativer neurologischer Erkrankungen oder zumindest dessen Verzögerung bei gefährdeten Personen, beispielsweise solchen, die aufgrund familiär-erblicher Faktoren ein höheres Erkrankungsrisiko in sich bergen.
Wenn man mit diesen Maßnahmen die steigende Zahl demenzieller und anderer degenerativer Nervenerkrankungen in Zukunft wesentlich reduzieren könnte und damit auch die Lebensqualität großer Bevölkerungsteile verbessert, ergäbe sich daraus auch eine Reduzierung der immensen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten derartiger Erkrankungen.
Politik, Forschung, Medizin und Industrie sollten sich damit ernsthaft auseinandersetzen, wollen sie ihrem Auftrag gerecht werden, zur Gesunderhaltung der Bevölkerung beizutragen.
In Kapitel 10 werden Strategien für eine breite Anwendung hier vorgestellter molekularer Verfahren und Substanzen diskutiert. Das betrifft vor allem folgende Bereiche bzw. Themen: